laut.de-Kritik
Bis ins kleinste Detail auf Hit getrimmt.
Review von Julius StabenowAllein der Name triggert mich als Rechtschreibfanatiker so dermaßen – NeunzehnhundertsechsundachtzigZIG. Ist eigentlich geklärt, wer zur Hölle hatte die glorreiche Idee, den Künstlernamen so zu schreiben? Oder existiert das nur, damit Leute wie ich sich darüber aufregen? Dem Erfolg stand der Name jedenfalls nicht im Weg, auf TikTok kommt man absolut nicht an 1986zig vorbei. Nach unzähligen Singles versucht es der Musiker nun mit "Einer Von Euch" zum zweiten Mal nach seinem Durchbruch 2021 auf Albumlänge.
Schon der Titel verrät die Marschrichtung – er nimmt Bezug auf seinen ersten Hit und zeigt, dass 1986zig auch nach dem Erfolg der Gleiche bleibt, man könnte fast sagen ein Durchschnittsmensch. Bei dieser Story hilft die Maske ungemein, jeder kann sich dort seinen Lieblingsmenschen hineinprojizieren. Das beginnt schon beim plakativen Cover, auf dem er mit seiner Hand die Hälfte eines Herzens formt und in die Kamera streckt. Damit man sich verbunden fühlt, weißte? Marketingmenschen nennen das persönliche Ansprache und Fanbindung.
Es beginnt mit dem Opener "Nie Frei", eine Coverversion des Hits "7 Years" von Lukas Graham. Mit der exakt gleichen Klaviermelodie hängen die Hörenden ab der ersten Sekunde am Haken, sofort stellt sich ein Nostalgiegefühl ein. Immerhin dudelt das Original schon fast zehn Jahre durch die hiesigen Radiostationen. Dieses Prinzip kennen wir zur Genüge und trotzdem funktioniert es immer wieder.
Dabei erscheint ein Cover noch als sinnvollster Einsatz dieser sehr speziellen Stimme irgendwo zwischen Grönemeyer und Henning May. 1986zig vermag es, bekannten Songs einzig mit seiner Intonation einen neuen Drive zu verpassen. Kein Wunder, dass er vor knapp zwei Jahren durch Coverversionen auf TikTok erstmals viral ging. Vielleicht gibt es deshalb auch gleich drei weitere Songs in diesem Stil: "Schloss Aus Sand" klingt wie eine Mischung aus Nena und Blümchen und frisst sich tiefer in meinen Gehörgang, als es sein sollte. "Meine 1" covert Coronas Eurodance-Gassenhauer "The Rhythm Of The Night", und "Bilder Von Dir" greift die gleichnamige 2000er Schmonzette von Laith Al-Deen auf.
Alleine damit haben wir vier Songs aus vier verschiedenen Jahrzehnten, um auch wirklich jeden Throwback-Nerv zu treffen. Das Zielpublikum wird so breit wie möglich eingefangen, und es besteht offenbar kein Interesse daran, dass jemand dieses Album mehrfach am Stück hört. Jeder soll sich einfach seine Rosinen picken und in die eigene Playlist ziehen. Trotz der beachtlichen Menge von 21 Songs ist hier alles auf Hit getrimmt. Ganze acht davon waren bereits vor Release als Single ausgekoppelt und bekannt.
Die Songs bedienen sich musikalisch an allem, was die Charts aktuell hergeben. Trends wie Happy Hardcore ("Schloss Aus Sand"), Power Balladen ("Freunde"), D'n'B ("7 Minuten"), EDM ("Bilder Von Dir"), minimalistisches Piano Pathos ("Freunde Sein") und Trapsoul ("Zeiten Ändern Nichts") bis hin zu Schlager ("Herzschlag") finden sich auf der Platte. Das ist nur die erste Hälfte des Albums.
Und trotz dieser musikalischen Bandbreite lassen 1986zig und seine Produzenten alles gleich klingen, jeder Track ist ähnlich aufgebaut. Nach theatralischem Klavierintro setzt ein generischer Beat ein, und der Sänger erzählt in einem gefühlsduseligen Text irgendwas von Freundschaft, Liebe, Aufstieg und dass man alles schaffen kann, wenn man nur will, um in eine noch dramatischere Hook überzugehen. In Kombination klingt es völlig oberflächlich und kalkuliert. Alles wirkt so überladen, dass der erzwungene Schmerz in der Stimme physische Schmerzen bereitet und man sich fragt, was eigentlich professionelle Gesangscoaches oder Logopäden zu dieser krassen Belastung der Stimmbänder sagen würden.
Alles an 1986zig schreit nach Abklatsch amerikanischer Vorbilder, angepasst an den deutschen Markt und ohne zweite Ebene. Die Sturmhaube für die Kredibilität, den visuellen Wow-Effekt und die Legitimation von Deutschrap-Features. Die seichten und oberflächlichen Texte als bewusste Kontrastpunkte und fürs Radio. Über die ein oder andere Line Koks, den billigen Fusel und die toxischen Beziehungen geht es selten hinaus, nur um immer wieder zu betonen, dass das auch wirklich der Vergangenheit angehört. Dieser Mann wäre gerne Street Pop, entpuppt sich aber als stinknormaler Deutschpop-Künstler mit Musik, die wirklich jede Alters- und Gesellschaftsschicht abholen soll.
Am deutlichsten wird das auf "Freunde". Von allen Hooks, die jemals an irgendwen rausgingen, ist das die mit Abstand einfallsloseste. "Das hier geht raus an alle Freunde, muss keine Namen nenn'n, ihr wisst, wen ich mein', das hier geht raus an alle Freunde, ich weiß nicht, wo ich ohne euch wär." Das tönt weder sonderlich poetisch, noch künstlerisch verpackt, sondern einfach nach plattem Kalenderspruch, den sich deine Tante in den WhatsApp-Status packen und in sentimentalen Momenten auf TikTok lipsyncen kann, weil jeder hat doch irgendwie Freunde, oder?
Die Features fügen sich nahtlos ein. Kati K entpuppt sich als weibliches Äquivalent zu 1986zig. Dazu gibt es drei Rap-Parts - für die Urbanität und die Kredibilität, wir erinnern uns. Der verklemmte Realkeeper Kool Savas von vor 20 Jahren hätte den Savas von heute für diesen Song, der ausgerechnet "Zeiten Ändern Nichts" heißt, vermutlich lebendig begraben. Ansonsten hören wir den gleichen Part, den der ehemalige King Of Rap bereits für diverse andere Pop-Features der vergangenen Jahre gedroppt hat. Genau wie Summer Cem, dessen Lines so wirken, als war er gerade zufällig im gleichen Studio und hatte noch ein paar Zeilen auf Halde. Absolut nicht der Rede wert. Einzig PA Sports fügt sich sinnvoll ein, beackern beide doch auch sonst eine ähnliche Themenwelt.
Interessant wird sein, ob dieses Konzept für den langfristigen Erfolg à la Mark Forster oder Max Giesinger reicht. Die Sturmhaube in Kombination mit quasi keinen Infos zur Person und der einprägsamen Stimme machte 1986zig anfangs zu einem Mysterium. Doch dieses Gimmick nutzt sich schnell ab, da er es nicht schafft, sein Image inhaltlich zu schärfen. Es dürfte ihm bald nichts anderes mehr übrig bleiben, als die Maske abzunehmen: Denn im Vergleich zu Artists mit ähnlichem musikalischen Background limitiert sie ihn, da er visuell keine Emotionen transportieren kann. Diese Ebene braucht es aber, um seine Fans auch in Zukunft bei der Stange zu halten, denn musikalisch können wir von 1986zig vermutlich keine Überraschungen mehr erwarten.